Die Brüder Grimm beginnen 1806 mit dem Sammeln von Märchen und Sagen, größtenteils aus mündlicher Überlieferung. Zur gleichen Zeit, 1806, wurden 2 amtliche Geisterberichte über den Spukritter vom Schnellerts im Reichsanzeiger Nr. 75, Allgemeines Intelligenz-Blatt, abgedruckt.
1815 ist die Sage vom Auszug des Schnellertsherrn den Brüdern durch ein akutes, die Sage betreffendes Ereignis zugetragen worden, nämlich bevor im Frühjahr 1815 Napoleon wieder einmal den Rhein überquerte und fand 1816 an 170. Stelle im 1. Band der Deutschen Sagen als „Rodensteins Auszug“ seinen Platz.
Rodensteins Auszug von den Brüdern Grimm
„Nah an dem zum gräflich erbachischen Amt Reichenberg gehörigen Dorf Oberkainsbach, unweit dem Odenwald, liegen auf einem Berge die Trümmer des alten Schlosses Schnellerts; gegenüber eine Stunde davon, in der Rodsteiner Mark, lebten ehemals die Herrn von Rodenstein, deren männlicher Stamm erloschen ist. (1671)
Noch sind die Ruinen ihres alten Raubschlosses zu sehen.
Der letzte Besitzer desselben hat sich besonders durch seine Macht, durch die Menge seiner Knechte und des erlangten Reichtums berühmt gemacht; von ihm geht folgende Sage:
Wenn ein Krieg bevorsteht, so zieht er von seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort Schnellerts bei grauender Nacht aus, begleitet von seinem Hausgesind und schmetternden Trompeten. Er zieht durch Hecken und Gesträuche, durch die Hofraite und Scheune Simon Daums zu Oberkainsbach bis nach dem Rodenstein, flüchtet gleichsam, als wolle er das Seinige in Sicherheit bringen. Man hat das Knarren der Wagen und ein Hoho-Schreien, die Pferde anzutreiben, ja selbst die einzelnen Worte gehört, die einherziehendem Kriegsvolk vom Anführer zugerufen werden und womit ihm befohlen wird.
Zeigen sich Hoffnungen zum Frieden, dann kehrt er in gleichem Zuge vom Rodenstein nach dem Schnellerts zurück, doch in ruhiger Stille, und man kann dann gewiß sein, daß der Frieden wirklich abgeschlossen wird. Ehe Napoleon im Frühjahr 1815 landete, war bestimmt die Sage, der Rodensteiner sei wieder in die Kriegburg ausgezogen.“
Wolf, Johann Wilhelm, Hessische Sagen, Leipzig 1853
Auf der Böllsteiner Höhe im Odenwald ist ein Bergvorsprung, den man »Schnellerts« nennt. Im Mittelalter stand dort eine Burg. Jetzt sind nur noch wenige Ruinenreste vorhanden. Diese Burg ist in der Sage viel verbunden mit einer andern Feste des Odenwalds, dem »Rodenstein.« Die Odenwälder erzählen, daß in den Trümmern der Schnellertsburg ein Geist hause, der immer, wenn vom Rhein her ein Krieg drohe, sich rege und mit großem Gefolge, lärmend wie der wilde Jäger, nach dem Rodenstein abziehe. Sobald die Kämpfe vorüber seien, kehre der Geist mit großem Getöse wieder nach dem Schnellerts zurück. Eine Ballade Josefine Scheffels, der Mutter des bekannten Dichters. J. V. von Scheffel, weiß darüber zu berichten:
Horch auf, was klirrt an Riegel und Gruft?
Was zischt und sauset durch die Luft?
Das muß der wilde Jäger sein,
Er zieht vom Schnellert zum Rodenstein,
Hussa, zum Rodenstein.
Im Schnellert, da schlief er manch ein Jahr,
Reibt sich nun wieder die Augen klar.
Die Friedensburg steht öd und leer,
Der Jäger zieht mit dem Geisterheer,
Zieht mit dem Geisterheer.
Er reitet voran auf schwarzem Roß,
Hallo! wie saust ihm nach der Troß!
Es rauscht und spricht – es pfeift und knallt,
Daß drob ertönt der Odenwald,
Der weite Odenwald.
Der Jäger auf dem Rappen fein,
Das ist der Ritter von Rodenstein.
Und wenn er durch die Lüfte fegt,
Ist,s Zeit, daß man die Schwerter regt,
Daß man die Schwerter regt!
In der schlichten Volksüberlieferung aber wird der Ritter meist »Schnellertsherr« genannt. Von ihm erzählt die Sage:
Viele Wanderer, die den Schnellerts bestiegen, hörten dort einen lieblichen Gesang, und zwar waren es gewöhnlich Kirchenlieder, die sie vernahmen. Diese Töne schienen aus dem Berg zu kommen, doch ist es nie jemand gelungen, in das Innere des Berges zu dringen.
Oft krähte auf dem Gipfel des Berges, da, wo die Ruinen der Burg sich erheben, dem Menschen unsichtbar, der Hahn, und dieser ungewöhnliche Schrei auf Bergeshöhen hat schon manchen sehr erschreckt. So waren einmal Leute zu einer Holzversteigerung droben versammelt, und eben bot der Förster eine Fuhre aus, als der Hahn krähte. Großer Schrecken fuhr den Bietern in die Glieder, im Nu war der Platz leer, und selbst der Förster hatte nicht den Mut zu bleiben.
Ein Förster in Stierbach erwartete eines Tages seinen Vorgesetzten zu einem forstlichen Geschäft. Da tiefer Schnee lag und der Oberförster lange auf sich warten ließ, glaubte der Förster zuletzt, sein Vorgesetzter werde nicht kommen, und ging nach Hause. Dort schaute er noch ein paarmal durch das Fenster, von dem aus man eine Seite des Berges übersehen konnte, und bemerkte endlich einen Reiter der auf dem gewöhnlichen Burgweg ritt. Im festen Glauben, es sei der Oberförster, warf der Förster die Büchse um und eilte dem Reiter entgegen. Doch zu seinem größten Erstaunen sah er ihn nicht mehr, fand auch nicht die geringste Spur eines Pferdehufes im Schnee. So blieb für ihn kein Zweifel, daß er den Berggeist vom Schnellerts gesehen habe.
Eine Frau aus der Haal, einem Hof in der Nähe des Schnellerts ging spätabends noch außerhalb des Hauses umher. Da kam es ihr vor, als ob sie jemand stark anhauche. Als sie sich umschaute, bemerkte sie, daß sie unter dem Hals eines Pferdes stand, auf dem ein Reiter saß. In ihrer Angst betrachtete sie weder Pferd noch Reiter näher, sondern lief in die Stube zurück. Hier sagten ihr die Hausleute, es habe soeben dreimal derart an einen Pfosten geschlagen, daß die Fenster klirrten. Dies pflege der Schnellertsgeist zu tun, wenn er durch die Haal fahre. Als die Leute herausliefen, gewahrten sie nichts mehr, hörten aber am andern Morgen, wie der Geist, vom Rodenstein kommend, auf den Schnellerts zurückfuhr.
So erzählte Johann Leonhard Hübner aus Brensbach ( von Carl Ludwig Bock auf dem Reichenberg vom Hörensagen ohne persönliche Zeugenaussage, aber in Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten der von Mauern umgebenden Hofreite in Brensbach, festgehalten) über den 20. Dezember 1758: „Ehe dieser Krieg angegangen und ehe man noch daran gedacht, seye der Geist in der Nacht in seinen Hof gefahren gekommen. In seiner Küche hätten die Geister ordentlich gekocht, den Kroppen übers Feuer gehängt und an den Tellern und Schüsseln geklappert; endlich aber alles hinter die Thür und zusammengeworfen und darauf fortgefahren.“
Die Hofreite in Brensbach, durch die der Geist aus dem Schnellerts seinen Zug genommen haben soll, liegt im oberen Teil des Ortes. Der Besitzer der Hofreite, durch dessen Scheuer der Berggeist zu ziehen pflegte, beabsichtigte einmal, am Morgen vor Tagesanbruch über Feld zu fahren. Er bat daher seine Frau, sie möge früh aufstehen, um ihm sein Frühstück zu bereiten. Als er dann am andern Morgen auf dem Weg zum Pferdestall durch die Küche ging, sah er zu seiner Verwunderung ein großes Kohlenfeuer auf dem Herd.
Nachdem er die Pferde gefüttert hatte, mahnte er seine Frau, jetzt aufzustehen, da sie noch Feuer genug auf dem Herd habe. Als aber die Frau aufgestanden war und die Morgensuppe kochen wollte, fand sie keinen Funken Feuer mehr vor. Die frische Glut, die der Bauer gesehen hatte, stammte von dem Wilden Heer, das in der Nacht in der Küche gewirtschaftet hatte. Es war gar nichts Seltenes, daß die Geister nachts in diese Küche einkehrten, Kessel über das Feuer hingen und kochten, weiters auch Schüsseln und Teller nahmen und Mahlzeit hielten.
So trieb es der wilde Geisterzug zwischen Schnellerts und Rodenstein lange Jahre, und das Volk weiß noch heute manches darüber zu erzählen.