Sticht man auf der 50-Tausender-Landkarte den Zirkel auf der Böllsteiner Höhe ein und schlägt damit einen Kreisbogen von ca. 20 cm, dann macht man eine erstaunliche Feststellung: In dem so gewonnenen Kreis befinden sich zehn ehemalige Richtplätze, bei denen in zwei Fällen sogar noch Reste der alten Galgen in situ vorhanden sind, während sich die anderen recht eindeutig durch Flurnamen oder Absteinungen nachweisen lassen. Der Richtplatz der ehemaligen Cent Ober-Kainsbach ist kürzlich zu einer kleinen Anlage hergerichtet worden. Dies mag der Anlaß sein, sich noch einmal mit den Richtplätzen zu befassen, obwohl sie in der Vergangenheit mehrfach Gegenstand von Aufsätzen so hervorragender Kenner des Odenwaldes und seiner Geschichte waren, wie Friedrich Mößinger und Erwin Meyer. 1)
Erfreulich ist, daß die Ober-Kainsbacher auf eine ähnliche Aktion verzichtet haben wie die übereifrigen Mudauer, die jüngst in der Umgebung von Mudau einen Steingalgen ohne historischen Bezug neu erstellt haben, wobei offenbar der Beerfelder Cent-Galgen als Vorbild gedient hat.
Die Häufung von Richtplätzen im Untersuchungsgebiet hängt nicht etwa mit einem besonderen Bedarf in dieser Gegend zusammen, sie ergibt sich aus der politischen Situation des Raumes und ist ein recht gutes Beispiel für die Struktur der Verwaltung und der Gerichtsverfassung in alter Zeit.
Das Wort Galgen stammt aus dem Althochdeutschen (galgo) und bedeutet Baumast. In der Tat ist das Hängen eine der ältesten Todesstrafen. Schon Tacitus, dem wir ja die erste (wenn auch umstrittene) umfassende Darstellung des germanischen Altertums verdanken, berichtet, man knüpfe Verräter und Uberläufer an Bäumen auf, Feige, Unzüchtige und Kriegsdienstverweigerer versenke man im Moor. Für den germanischen Bereich werden die Angaben des römischen Geschichtsschreibers aus sehr viel späterer Zeit durch den bekannten Bildstein von Gotland bestätigt. Auf der Darstellung sieht man links einen Mann mit einer Schlinge um den Hals. Das Seil ist an einem Baum festgebunden, der nun seinerseits so mit einem anderen Baum verknüpft ist, daß sich die Baumkronen berühren. Wird nun das haltende Seil zerschnitten, so schnellen die Bäume in ihre natürliche Stellung zurück und erdrosseln den Delinquenten. Der Sage nach ist auf ähnliche Weise Vikar durch seinen Halbbruder Starkard geopfert worden. 2) Die Gotländer Darstellung und der Bericht des Tacitus zeigen, daß die Hinrichtung bei den Germanen eine sakrale Handlung war. Diesen Charakter hat die Todesstrafe nach Einführung des Christentums und nach Erstarkung der Stammesherrschaften verloren. Die Hinrichtung wird nun zur Strafe, die bei Verbrechen gegen das Gemeinwohl ausgesprochen und vollstreckt wird.
Es würde den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen, wollte man die weitere Entwicklung des Strafrechts in Deutschland, die weitgehend von Stärke und Schwäche der Königsmacht abhängt, verfolgen. Mit der Begründung der Territorialherrschaften tritt an die Stelle des einstigen königlichen Gerichtsbannes die Gerichtshoheit der Landesherrschaften, der Blutbann wird von den Centgerichten im Namen der Territorialherren ausgeübt. Daß daneben die westfälischen Femegerichte, die sich noch auf königlichem
Bildstein von Gotland Gerichtsbann berufen konnten, in einigen Delikten (z. B. Rechtsverweigerung) auch im Odenwald zuständig waren, wie uns dies die Vorladung des Höchster Centgrafen vor das Freigericht Brackel zeigt, ist ein Beispiel für die Unüberschaubarkeit der mittelalterlichen und Spätmittelalterlichen Rechtspflege in Deutschland, die mehrfach von den Reichstagen gerügt und schließlich zur Ausarbeitung der Constitutio Criminalis Carolina geführt hat. Die Carolina (C. C. C.) hat unter anderem auch eingehende Vorschriften über die Errichtung von Galgen gebracht. Da sie aber gegenüber Landesrecht und Weistum nur subsidiär galt, ist sie in diesem Zusammenhang nicht sehr bedeutsam.
Trotzdem war die Carolina das erste deutsche Gesetzbuch, zuvor galt Weistum, eine Aufzeichnung alter überlieferter Rechtsnormen. Das bekannteste Weistum in Deutschland ist der Sachsenspiegel. In den Weistümern ist die Vollstreckungsart der Todesstrafen nicht festgelegt, sondern dem Gericht überlassen. In der Bilderhandschrift des Sachsenspiegels werden die meisten Strafen durch Enthaupten vollstreckt. Für Zauberei und Ketzerei wird der Feuertod gezeigt. Auf einem einzigen Bild wird gezeigt, daß der Übeltäter gehängt wird; es handelt sich um einen Juden, für den verschärfte Strafen galten. Das Hängen gilt als besonders ehrlose Todesart. Dieser Gedanke hat sich bis in die neueste Zeit erhalten. So hatten die Nazis die Verschwörer des 20. Juli 1944 gehängt und die Alliierten Militärgerichte vollzogen die Strafe an den verurteilten Kriegsverbrechern auf die gleiche Weise.
In alter Zeit war das Hängen die Strafe für Diebstahl. Ferdinand Koch 3) hat in seiner Geschichte der Gerichte in der Cent Heppenheim die im Zeitraum von 1558 – 1610 verhängten Todesurteile zusammengestellt. Dabei ergibt sich, daß von 18 Todesurteilen 5 am Galgen vollstreckt wurden. Alle fünf Verbrecher waren als Diebe bestraft worden.
Jede Cent, der der Blutbann zustand, hatte ihren Galgen. Der Galgen war nicht nur Exekutionsstätte‚ er war zugleich das Zeichen der Halsgerichtsbarkeit schlechthin. Dies kommt u.a. in der Rechtssymbolik zum Ausdruck, wenn den Gerichtsherren das Recht „an Stock und Galgen“ verliehen wird, womit eben die Halsgerichtsbarkeit gemeint ist (so in der bekannten Neustädter Urkunde vom 22.06.1378) 4)
Die Richtplätze weisen bei näherer Betrachtung viele Gemeinsamkeiten auf. So liegen sie immer auf einer Anhöhe, die von einer Altstraße gut zu sehen ist, immer nicht weit von der Grenze des Centvorortes entfernt. Erwin Meyer schreibt dazu: „. .doch standen sie (die Galgen, Anm. d.V.) immerhin noch so weit genug von der Grenze, daß ihr Schatten diesseits fiel“. 5) Alle Richtplätze waren, zum Teil sind sie es heute noch, besonders abgegrenzt. Der Richtplatz umfaßte etwa eine Fläche von 400 qm. Die Lage der Richtplätze weist auf die Repräsentanz der Hochgerichtsbarkeit, auf abschreckende Demonstration aber auch auf eine gewisse Scheu vor der unheimlichen Stelle hin, die man möglichst weit von der Ortsmark wissen wollte.
Von den Einheimischen wurden die Richtplätze gemieden. Zahlreiche Wiedergänger – und Spukgeschichten sind von ihnen überliefert. Stellvertretend soll hier eine Sage vom Bensheimer Galgen vorgelegt werden, die ähnlich in Weinheim, Schriesheim und vom Galgenhiwwel in Seligenstadt erzählt wird:
Wenn man abends die Halbstundenbrücke in Bensheim überquert, (wo früher der Galgen gestanden hatte), dann hört man ein Ächzen und Stöhnen in der Luft, das sind die Seufzer der dort gehängten Verbrecher. An anderen Orten variiert die Sage etwas ; nur die unschuldig Aufgehängten gehen dort um. (Weinheim und Schriesheim). Auch wird berichtet, daß sich abends die Pferde weigern, die Halbstundenbrücke zu passieren.
Etwas skurril mutet uns heute an, daß auch Tiere vor Gericht gestellt und auch hingerichtet wurden (man denke an den berühmten Mäuseprozeß von Glurns im Jahre 1519). Besonders der Wolf war mehrfach Gegenstand derartiger Exekutionen, an die an manchen Orten noch der Flurname Wolfsgalgen erinnert. Die Ansbacher sollen ihren Utznamen „Wolfshenker“ von einer solchen Geschichte haben. Andere Flurnamen, wie Schnappgalgen, Zigeunergalgen, Soldatengalgen, und Schnellgalgen erinnern an Warnpfähle, die mit oft drastischen Hinweisen (z. B. Leichenteile von Hingerichteten) zur Abschreckung aufgestellt wurden.
Die Weistümer enthalten Vorschriften darüber, wer den Galgen zu errichten hatte. Meist waren dies alle Centverwandte gemeinsam. Einige Weistümer hatten die Aufgaben auf die einzelnen Centorte verteilt, so für das Gericht auf dem Landsberg: Die Lorscher mußten das Holz stellen, das in der „Galgenlache“ (einer Flur dicht neben der Autobahn) geschlagen wurde, die Fehlheimer mußten das Holz abholen und zum Richtplatz bringen, Lorscher und Kleinhäuser mußten die Pfostenlöcher graben und die sogenannten Sechsdörfer ( Unter-Hambach, Kirschhausen, Sonderbach, Walderlenbach, Erbach und Ober-Hambach) mußten die Erde wieder beiziehen. Die Heppenheimer und die Bensheimer mußten die Gefangenen verwahren und zur Richtstätte bringen. Die eigentliche Aufstellung erfolgte durch die Heimberger, die jüngsten Gerichtsverwandten der ganzen Cent. Jeder der Beteiligten erhielt 6 albus Zehrgeld 7). Im Anschluß daran fanden Feste statt. So berichtet das Reinheimer Kirchenbuch: ”1593, den 10.0l. ist der Galgen zu Reinheim aufgerichtet worden mit Trommeln und Pfeifen von der ganzen Gemeinde. “ Auch in Reichelsheim und Ober-Kainsbach fanden nach der Galgenerrichtung Feste statt.
Wie schon erwähnt, bringt die Carolina Vorschriften über die Errichtung von Galgen. Größe und Beschaffenheit der Galgen sind aber recht unterschiedlich. Die Zimmer’sche Chronik (um 1556), eine der wichtigsten Quellen der deutschen Volkskunde, schreibt: „dann vor alter herkommen, daß alle Halsgerichte, so untermauert oder auf Säulen stehen auf des Reiches Boden, die aber so in die Erde eingelassen oder in den Boden eingegraben, die gehören Fürsten, Herren Edelleuten und anderen, so vom Reich regaliter und den Bann über das Blut haben“. Später dürfte dieses Herkommen durchbrochen worden sein.
Richtplatz und Gerichtsstelle sind in vielen Fällen nicht weit voneinander entfernt. ( so in Lindenfels und Beerfelden). Schon gegen Ende des 16. Jhdts. verloren die heimischen Centgerichte die Bedeutung in der Rechtssprechung. Zunehmend zogen die Kanzleien in Michelstadt und Darmstadt die peinliche Gerichtsbarkeit an sich. In Darmstadt wurde 1672 ein peinliches Gericht für Darmstadt bestellt, dem durch die Gerichtsordnung von 1726 alle peinlichen Sachen übertragen wurden. Die alten Laiengerichte der Centen hatten aber noch Vorschlagsrechte, sie hatten die Strafe zu verkünden und zu vollstrecken, sodaß die Richtplätze ihre Bedeutung behielten.
Am Hinrichtungstag fand die feierliche Verkündung des Urteils an den Gerichtsplätzen statt. Die Zeugen mussten ihre Aussagen noch einmal bestätigen und die Geschworenen ihren Spruch wiederholen. Danach brach der Richter den Stab und übergab den Delinquenten dem Nachrichter. Im Germanischen Museum in Nürnberg werden eine ganze Anzahl derartiger Stäbe verwahrt, auf die man die Namen der Hingerichteten geschrieben hat.
Auf dem Weg zum Richtplatz hatte der Verurteilte Gelegenheit zur letzten Beichte. Oft stehen Bildstöcke oder Kreuze dort, wo diese erfolgte, etwa das Beichtmarterl in Wörth am Main.
Die eigentliche Hinrichtung, so schaurig sie war, wuchs sich zum Volksfest aus, an der die ganze Cent, einschließlich der Schulklassen (so etwa in Neustadt 1812) teilnahm. Von dieser letzten Hinrichtung in Neustadt am 17.07.1812 berichtet der Aschaffenburger Anzeiger, daß die Menschenmenge „unzählbar“ war. In Auerbach war 1682 gar ein junger Bursche bei der Hinrichtung eines räuberischen Paares im Gedränge der Menge erdrückt werden. 8) Daß bei solchen Gelegenheiten besonders die Gastwirte profitierten, liegt auf der Hand. Von einem Halsgericht in Neunhof (Lauf) wird überliefert, daß am Hinrichtungstag 46 1/ 2 Eimer Bier, 4 Eimer Wein, 700 Bratwürste, l/2 Zentner Fisch, 5 Zentner Schweinefleisch und für 48 Gulden Brot verzehrt wurden.
Bis ins 18. Jhdt. hielt sich die Auffassung, daß bei Mißlingen der Exekution, etwa durch Reißen des Stricks oder durch das Erbieten einer Frau, den Verurteilten zu heiraten, eine Begnadigung des Delinquenten erfolgte. Erst die gemeinrechtlichen Prozeßvorschriften des 18. Jhdts. haben diesen, aus den alten Weistümern hervorgegangenen Brauch abgeschafft.
In diesem Zusammenhang ist wohl auch auf den Nachrichter einzugehen. Wie der Schinder gilt auch der Henker als „unehrlich“. Dieser Ruf erstreckte sich auf seine Familie, sodaß die Kinder sich im gleichen Kreise verheiraten mussten. Nicht zuletzt dadurch blieb das Henkeramt oft lange Zeit in derselben Familie. Rudolf Kunz hat im Fürstenauer Archiv den Anstellungsvertrag des Scharfrichters Hans Dietrich Weiland gefunden, der neben der Nachrichtentätigkeit gleichzeitig Hundefänger, Schinder und Kloakenreiniger war. Allerdings wurde seinem Schwiegersohn später attestiert, daß er „perfekter Scharfrichter sei und nicht etwa Wasenmeister.“ 9)
Trotz dieser Verfehmung standen die Henker im Rufe besonderer Kräfte. Viele von ihnen sind als Braucher bekanntgeworden. Dazu kam, daß der Henker über Gegenstände verfügte, die als Amulette ungemein begehrt waren, z. B. Galgenstricke, Nägel oder Leichenteile der Gerichteten. Nach der Hinrichtung der in Nürnberg verurteilten Kriegsverbrecher sind nach Zeitungsberichten bei dem Scharfrichter aus aller Welt derartige Amulette angefordert worden. 1694 wird in Lindenfels die Hinterlassenschaft eines Schuhmachers aufgezeichnet und unter die Erben verlost. Zwei besonders bedeutende Stücke erhielt der älteste Sohn mit der Bedingung, sie gegebenenfalls an die anderen Erben auszuleihen. Neben einer Schnur mit 13 Bernsteinen war dies ein eiserner Ring einer Galgenkette. 10)
Beim Scharfrichter konnte man auch die bekannte Alraunwurzel (das sogenannte „Galgenmännchen“) kaufen, das nach alter Vorstellung unter dem Galgen aus dem Sperma des Gehängten wächst. Nicht immer erfolgte die Exekution am Richtplatz. Oft wurde (wohl unter dem Einfluß des Vergeltungsprinzips) die Hinrichtung am Tatort vorgenommen. So wurde am 16.04.1734 eine Kindesmörderin zu Höchst „am Oberhöchster Bach“, auf dem Acker ihres Vaters, wo sie das Kind ertränkt hatte, hingerichtet. Eines der spektakulärsten Verbrechen der alten Zeit war der Postkutschenraub in der Malcher Tanne. Auch dort wurden die beiden Täter, Guntermann und Ganssert, am 04.05.1782 am Tatort gehängt und anschließend unter dem Pfungstädter Galgen begraben. Allerdings sind auch Urteile unter der Centlinde vollstreckt worden, so wurde im August 1622 der Räuber Hans Seitz, der kurz zuvor mit seiner Bande den Bauern Peter Urich im „Gemeinen Wald“ bei Vielbrunn überfallen hatte, unter der Centlinde in Michelstadt geköpft.
Die Aufklärungszeit bringt einen neuen Abschnitt in die Strafrechtspflege und zu gleich das Ende unserer Galgen. 1740 wird die Folter in Preußen abgeschafft, 1743 die Galgenstrafe. Für besonders schwere Delikte wird eine Ausnahme gemacht. Joseph II., der sehr aktiv an der Neukodifizierung des Strafrechts in seinen Landen mitgearbeitet hat, ordnet im § 304 der Kriminalgerichtsordnung an, daß die Galgen beseitigt werden sollen.(1787) Noch die Theresiana, das Strafgesetzbuch seiner Mutter, hatte bestimmt, daß die Galgen „an geziemenden Orten zu erheben sind“. Bayern hatte 1813 in seinem neuen Strafgesetzbuch zwar die Todesstrafe beibehalten, aber die Vollziehung erfolgte nur noch durch Enthauptung.
In Baden wurde 1812 durch einen Ministerialerlaß angeordnet, daß alle Galgen abzubrechen seien. Für Hessen konnte eine derartige Anordnung nicht festgestellt werden. Sie dürfte auch nicht ergangen sein, da sich gerade in Hessen eine ganze Anzahl von Galgen recht gut erhalten haben. Doch sind wohl nach 1820 auch hier die meisten Galgen niedergelegt worden. Der letzte Lindenfelser Galgen wurde 1824 durch öffentliche Ausbietung verschrottet.
Die Einführung der Gewaltenteilung, die Trennung von Verwaltung und Rechtssprechung‚ die Änderung der Gerichtsbezirke und vieles andere, kurz, eine neue Zeit hatten das Ende der alten Hochgerichte im Odenwald gebracht.
Nach diesem Exkurs über die Geschichte der Halsgerichte, der Todesstrafe und der Galgen insbesondere sollen die Richtplätze, die wir eingangs in unserem Zirkelkreis gefunden haben, einzeln vorgestellt werden.
Fränkisch-Crumbach: Zu dieser, einstmals aus der Herrschaft Crumbach-Rodenstein entstandenen Odenwälder Cent gehörten neben Fränkisch-Crumbach die Orte Bierbach, Erlau (z. T.), Güttersbach und Michelbach. Gerichtsherren waren die Rodensteiner. An die ehemalige Richtstätte, über deren Aussehen nichts überliefert ist, erinnert noch der Name ”auf dem Galgenberg“ in der Flur 44, westlich von Fränkisch-Crumbach. Die Reichenbacher Chronik von Martinus Walter berichtet verschiedentlich von Hinrichtungen in Fränkisch-Crumbach. Am bekanntesten ist wohl der Fall des berühmten Zauberers, des „Säu-Hannes“, geworden, der am 07.02.1606 auf dem Richtplatz verbrannt wurde. Der volle Name des Säu-Hannes ist nicht bekannt. 1598/99 war er Säu-Hirte zu Erbach gewesen, was ihm wohl zu seinem Namen verholfen hat. Außer Zauberei war er des Ehebruchs mit einer Viehmagd beschuldigt worden, die kurz darauf wegen Kindestötung mit dem Schwert enthauptet wurde. 11)
Der gleichen Quelle zufolge wurde 1618 ein Dieb in Fränkisch-Crumbach gehängt: „Um Medardi (08.06., Anm.d.Verf.) ist Dieb Ewalt zu Rodenstein eingezogen worden” und später “ den 5. August ist Dieb Ewalt zu Crumbach gehenkt worden, der viel (auch etliche zu Gadernheim) angegeben. “ Ewalt war der Anführer einer gefährlichen Bande von Dieben und Hehlern, die vornehmlich durch Pferdediebstähle die Umgebung lange verunsicherten. Einige der Hehler saßen in Gadernheim. Der Galgen muß erst nach 1801 abgebrochen worden sein, da er in der Haas’ schen Karte noch verzeichnet ist.
Lichtenberg: 1360 hat Kaiser Karl IV. der Burg die Rechte und Freiheiten der Stadt Lindenfels veliehen. Die Halsgerichtsbarkeit scheint aber nicht zu diesen Rechten gehört zu haben, denn Ende des 16. Jhdts. wird eine Magd des Schloßes wegen Kindestötung durch das Centgericht in Ober- Ramstadt verurteilt. Erst 1660 sind die Burgbewohner keiner Cent mehr unterworfen und haben ihr eigenes Halsgericht. Über die Richtstätte konnte nichts in Erfahrung gebracht werden.
Otzberg: Zur Cent Otzberg gehörten Hering, Lengfeld, Ober- und Nieder-Klingen, Wiebelsbach, Hassenrod und Heubach.
Die Lage des ehemaligen Richtplatzes ist noch genau bekannt. Die kleine Anhöhe neben der Straße Lengfeld-Zipfen, wo heute der Fasanenhof steht, heißt noch immer „Galgenberg“ und die früheren Weinberge dort, wo angeblich der beste Lengfelder Wein gewachsen sein soll, führten früher die Lagebezeichnung „Galgenwingert“. Der Lengfelder Heimatforscher Fritz Walter (83 J.) kann sich selbst nicht mehr an den Galgen erinnern, wohl klingen ihm noch die Erzählungen seines Vaters im Ohr, der den Galgen noch selbst gesehen hat. Danach hat dieser Galgen noch bis etwa 1800 gestanden, es waren zwei steinerne Pfosten, die wohl früher durch eine Querstange verbunden waren. Um diese Zeit diente der Galgenberg auch als Schindwasen und der damalige Wasenmeister aus Groß-Umstadt hat die Pfosten des Galgens mitgenommen, um sie im Raibacher Tal als „Brückelcher“ zu verwenden. Dieser Steingalgen soll nach Lengfelder Tradition um 1700 gebaut worden sein, als Marodeure die Gegend unsicher machten. Bis ins 16. Jhdt. hatte die Cent keine eigene Gerichtsstätte, die von der Cent verurteilten Verbrecher wurden in Lindenfels exekutiert.
Über Hinrichtungen in Lengfeld ist nichts überliefert. Der Türkenhannes und seine Bande, die 1743 die Bundenmühle niederbrannten und die Heidemühle beraubten, wurden am Groß-Umstädter Galgen bei Semd gehängt.
Die von Dr. Meyer auf dem Galgenberg beobachtete Vertiefung hat nach Mitteilung von Herrn Walter nichts mit dem Galgen zu tun, sie stammt von dem ehemaligen Basaltbruch.
Höchst: neben dem Centvorort gehörten die Orte Sandbach, Hainstadt, Pfirschbach, Annelsbach, Hummetroth, Forstel, Mümling- Crumbach, Etzengesäß, Rimhorn, Breitenbach, Mühlhausen und Rosenbach zur Cent.
Die Geschichte des Höchster Landgerichts geht wohl schon ins 12. Jhdt. zurück. 1156 wird, gleichberechtigt mit Umstadt, ein Lehnsgericht zu Höchst erwähnt. Die Cent Höchst verdankt ihre Entstehung einer Verwaltungsteilung der alten fuldischen Großmark Umstadt. Trotz aller politischen Veränderungen in der Folge hat die Cent ihre Verbindung zu Umstadt bis 1806 behalten, was die Zugehörigkeit des Gerichts zum Oberhof in Groß-Umstadt beweist.
Die Richtstätte des Centgerichts befand sich westlich von Höchst, am Hang des sogenannten Galgenberges, wo die Galgenanlage von den alten Straßen nach Nauses und Hummetroth gut einzusehen war. Dort sind heute noch die sogenannten ”Köppstaa”, wie sie der Volksmund bezeichnet, zu sehen. Es handelt sich um zwei dreieckig zugehauene Steine aus heimischem Sandstein, in denen Vertiefungen angebracht sind. Nach Frölich handelt es sich dabei um Fundamentsteine hölzerner Galgensäulen.12) Der ehemalige Richtplatz ist von örtlichen Vereinen zu einer Anlage hergerichtet worden und eine Tafel weist auf die einstige Bedeutung des Platzes hin. Nach dieser Tafel hat die letzte Hinrichtung auf diesem Platz am 30.05.1785 stattgefunden. Die Quelle für diese Annahme war allerdings nicht festzustellen.
Kirchbrombach: zum Centgericht gehörten die Orte Kirchbrombach, Langenbrombach (breubergerseits), Hembach, Böllstein, Stierbach, Affolterbach, Wallbach, Hollerbach, Gumpersberg, Ober- und Niederkinzig, Birkert (breubergerseits), Balsbach und Kilsbach.
Über die Ausbildung dieser Cent aus der einstigen Altcent Höchst hat Wolfram Becher im letzten Schnellertsbericht gehandelt. Das Gericht tagte unter der Linde, vor dem Kirchhof. Der Richtplatz lag nahe der Grenze zwischen Kirch- und Langenbrombach, nicht weit von der Landstraße Kirchbrombach nach Hembach. Auch hier führt der alte Richtplatz noch heute den Namen „Galgenberg“, und auch hier haben sich Reste des Galgens erhalten. Es handelt sich, ähnlich wie in Höchst, um drei dreieckig zugehauene Sandsteine, in die nach der Grundlinie des Dreiecks Vertiefungen, angeblich zur Aufnahme der Galgensäulen, angebracht sind. Man kann sich heute nicht mehr recht vorstellen, wie die Pfosten des Galgens einstmals in diese Führungen eingepaßt wurden. Wahrscheinlich waren es die Bodenbalken des Galgens, die dort eingesetzt wurden oder aber die Steine sind nur die Begrenzung des eigentlichen Galgens gewesen. Über Hinrichtungen in Kirchbrombach ist nichts bekannt.
Ober-Kainsbach: Centorte: Ober-Kainsbach, Unter- und Ober-Gersprenz. Der Ursprung dieser Kleincent ist unklar. Möglich ist, daß sie von der Cent Kirch-Brombach abgesplittert wurde, worauf kirchliche Verbindungen hinweisen könnten, Die Abtrennung müsste allerdings schon vor 1273 erfolgt sein, vielleicht im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Fundierung der Ordenskommende in Mossau.
Der Richtplatz lag an der Südostgrenze von 0ber-Kainsbach, am Westhang des Heidelberges. Man kann den einstigen Richtplatz noch heute recht gut an den Grenzsteinen erkennen, die 1741 zur Abgrenzung des Richtplatzes aufgestellt wurden. Der eigentliche Richtplatz umfaßte ca. 400 qm. Die Gewann (Flur 71) heißt auch heute noch „der Galgen“ .
Hans von der Au hat in einem Aufsatz über das Schicksal von Reichelsheim im 30 -jährigen Krieg berichtet, daß 1623 in Reichelsheim und Ober-Kainsbach neue Galgen errichtet wurden. Das Holz dazu lieferte Endriss Hass aus Mossau für 8 fl. Hergerichtet hat den Galgen ein Zimmermann aus Ober-Kainsbach für noch einmal 8 fl. Nach der Aufrichtung gab es an beiden Orten ein Fest, an dem alle Centverwandten teilnahmen. 13)
Der Ober-Kainsbacher Galgen muß allerdings später einmal in Stein erneuert worden sein, so ist dies jedenfalls in Ober-Kainsbach überliefert. Es ist das Verdienst Georg Daschers, Reste dieses steinernen Galgens gesichert zu haben. Im Hof Dingeldein, auf der Spreng und beim Gastwirt Dauernheim fand er gut behauene, walzenförmige Steine, etwa 30 cm hoch, mit ca 43 cm ∅ und einem Umfang von ca. 145 cm, die nach jeweiliger lokaler Tradition vom einstigen Galgen stammen. Die Steine waren in den Höfen sekundär als Dengelstöcke oder Pfostenunterlagen verwendet worden. Sechs weitere Steine vom gleichen Aussehen sollen, wie Georg Dascher von einem alten Kainsbacher Bauern erfuhr, in dessen Hof als Pfostenunterlagen gedient haben. Später sind sie zerschlagen und vermauert worden. In der Familie des Bauern hält sich die Überlieferung, daß der Großvater einst die Steine vom Galgenplatz abgefahren habe. Dies könnte zeitlich in die 20-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts passen, in dem offenbar die meisten Galgen abgebaut wurden. 14) In der Haas’ schen Karte von 1801 ist der Ober-Kainsbacher Galgen noch eingezeichnet.
Neustadt: Ein eigenes Centgericht hatte Neustadt mit dem Schloß Breuberg, Haibach, den Höfen Arnheiten, Wolfen und Hardt. Der Richtplatz des Gerichts befand sich südwestlich von Neustadt nach Dusenbach zu.
In der Neustädter Urkunde vom 22. 06.1378 wird den Grafen von Wertheim das Recht, in Neustadt „Stock und Galgen“ zu haben, verliehen. Dies bedeutet in der Rechtssprache des Mittelalters die Verleihung des Blutbannes.
Die letzte Hinrichtung in Neustadt fand am 17.07.l812 statt. Gerichtet wurden zwei Mitglieder der Hölzerlipps -Bande Christian Haag, genannt „der dicke Bu“ und Caspar Mündörfer, genannt „Bürstenkasper“ oder „der dinne Bu“.Die beiden waren wegen_Straßenraubs von der Justizkanzlei in Michelstadt zum Tode verurteilt worden. Uber diese letzte Hinrichtung – sie erfolgte durch Enthaupten – gibt es eingehende Darstellungen, auf die verwiesen werden kann.
Der Neustädter Galgen war angeblich ein einarmiger, sogenannter Kniestock-Galgen, dessen Reste noch Anfang des Jahrhunderts sichtbar waren. 15)
Unmittelbar am Rande unseres Kreises liegen die Hochgerichtsstätten von Michelstadt (am Hang des Galgenberges, neben der nach dem Waldhorn führenden Straße) und von Reinheim (auf dem Galgenberg neben dem Weinweg). Eine schriftliche Mitteilung von Dr. Erwin Meyer †, in Reinheim hätten noch um 1900 Reste des Galgens gestanden, konnte nicht nachgeprüft werden.
König: Centherren der kleinen Cent König, zu der zuletzt nur noch König und Fürstengrund gehörten, waren seit 1477 die Erbacher Schenken.
An den Richtplatz erinnert nur noch der Name Galgenberg, zwischen König und Momart, etwa dort, wo heute der Weyprechtstempel steht.
Die Gemeinderechnungen berichten von der Exekution eines Diebes aus König, die jedoch am Galgen in Michelstadt vorgenommen wurde:
„Wie der Dieb abgeholt worden, hat der Herr Centgraf mit Zweyen Zentschöffen verzehrt 25 alb. Dem Herrn Cent Grafen von wegen des Diebs Philips Burgers Zentz kosten 25 fl., 10 alb. Und vor diejenige 9 Mann so zu Michelstadt bey der Exekution mit aufgewartet 27 alb. „
Aus den Bürgermeister-Rechnungen 1726 – 1727. 16)
Lindenfels : Wann der Stadt Lindenfels der Gerichtsbann verliehen wurde, läßt sich ebensowenig zuverlässig feststellen, wie die erstmalige Verleihung der Stadtrechte. In einer am 27. Februar 1404 in Heidelberg ausgestellten Urkunde setzt König Ruprecht fest, daß niemand die Bürger vor ein Landgericht, das königliche Hofgericht oder ein anderes Gericht laden darf, sondern sie nur vor Bürgermeister und Rat der Stadt Lindenfels verklagen darf. Mindestens von diesem Zeitpunkt an hatte die Stadt eigene Halsgerichtsbarkeit. Das Gericht tagte unter der Linde auf dem Marktplatz.
Lindenfels hatte keine eigene Richtstätte. man benutzte gemeinsam mit der Talcent den Richtplatz auf dem Galgenberg an der Südgrenze der Lindenfelser Gemarkung in der Flur 45 (uffm Bühel in der Faustenbachshecken), dort wo die alten Wege von Fürth und Ellenbach über die Höhe nach Lindenfels führen. Heute sind auf dem Galgenplatz keine Reste des Hochgerichts mehr erhalten. Auf dem Haas’schen Prospekt von 1801 ist der Galgen jedoch noch eingezeichnet.
Der Galgen mußte einst von den Bürgern von Lindenfels und den Einwohnern der Talcent gemeinschaftlich errichtet werden.
„1613: Stock und Galgen und Leitern werden von der Statt und der Thal Centh bezahlet, die anderen Uncosten alss mit azung und dergleichen alles von der Pfaltz bezahlet. „
Über die Aufrichtung eines neuen Galgens im Jahre 1545 findet sich in der Lindenfelser Stadtrechnung folgender Eintrag:
1 Gulden geben Stro Hansen, dem Zymmermann, vom galgen zu machen. der stadt zu yrm theil – 12 alb. Wentzel Gampel gehen vom Galgen und den Leythern dar und dannen zu fuyren, da man den galgen uffschluge. – l Gulden 8 alb 4 pfg ist zu Kosten uff mit den Zymmerleuden holtz zu hauwen und den Galgen uffzuschlagen gangen. ” 17)
Über Hinrichtungen ist nichts überliefert. Im 18. Jhdt. sollte – so die mündliche Überlieferung in Lindenfels – eine Kindsmagd wegen Kindesmord hingerichtet werden, sie wurde jedoch unter dem Galgen begnadigt.
Der letzte Lindenfelser Galgen, an dem nach der Sage niemals jemand gehängt wurde (ein sogenannter ”jungfräulicher Galgen“) wurde auf Anordnung von Landrat Heim 1824 entfernt und der Abbruch zur Versteigerung ausgeschrieben. Nach dieser Ausschreibung handelte es sich um drei Steinsäulen und bei 200 Pfund Eisen. Es muß sich demnach und einen sogenannten dreischläfrigen Galgen mit 3 Säulen gehandelt haben, so wie sie in Beerfelden, Pfungstadt und Wörth erhalten geblieben sind.
Reichelsheim : In Reichelsheim gibt es zwei Flurnamen, die auf einstige Richtplätze Bezug haben:
- a) Hochgericht, eine Anhöhe südlich von Reichelsheim.
- b) Richtplatz, eine kleine Erhebung westlich von Reichelsheim, neben der alten, nach Laudenau führenden Straße, auf der einst die Pilger von den katholischen Bergstraßenorten über Kolmbach, Michelstadt und Amorbach nach Walldürn gezogen sind.
Mit Sicherheit hat zur Zeit der Hochblüte dieser Wallfahrt (Ende 18.Jhdt.‚Anfang 19. Jhdt.) der Galgen auf dem sogenannten Richtplatz gestanden, denn nach der Beschreibung des Wallfahrtsweges führt dieser von Laudenau am Galgen vorbei nach Reichelsheim. Denkbar ist, daß der alte Richtplatz früher auf dem Hochgericht war und später zum Richtplatz verlegt wurde. Derartige Verlegungen sind zum Beispiel vom Bensheimer und vom Galgen der Talcent überliefert. Dies könnte der historische Kern jener Sage sein, die Karl Schwinn aufgezeichnet hat: „über die Entstehung des „Krummen Baues” (des spätstaufischen Palas des Schlosses Reichelsheim A. d.Verf.) erzählen die Reichelsheimer: Eine edle Gräfin sah gerne vom Schloßhof oder von den Fenstern ihrer Gemächer in die Ferne. Nun stand aber jenseits des Tales, auf hohem Feld, der Galgen, an dem die Missetäter gerichtet wurden. Die hohe Frau honnte den Anblick der Gehenkten nicht ertragen, deshalb ließ sie vor ihrem Herrenhaus den krummen Bau errichten, um den Galgen nicht täglich vor Augen zu haben. 18) Sagen sind, wie dies Peter Assion gerade ausgedrückt hat, gespeicherte Geschichte. Wohl nicht der Bau des halbrunden Palas, aber die Verlegung des Richtplatzes von der Höhe des Hochgerichts zum Richtplatz ist wohl eher der Erfolg gräflichen Unwillens gewesen.
1801 war der Galgen wohl schon abgebrochen worden. Die Haas’sche Karte von 1801 verzeichnet den Reichelsheimer Galgen nicht mehr, wohingegen die Galgen von Fänkisch-Crumbach, Ober-Kainsbaeh und Lindenfels noch dargestellt sind.
Die letzte Hinrichtung in Reichelsheim am 24.12.1812, zugleich die letzte Exekution, die ein Odenwälder Centgericht durchführte, fand nicht auf dem Richtplatz, sondern neben der Landstraße nach Groß-Gumpen statt, dort, wo der Täter seinen Straßenraub durchgeführt hatte. Nach der Hinrichtung wurde der Delinquent auf dem Richtplatz begraben.
Das Protokoll dieser letzten Odenwälder Hinrichtung ist erhalten, und soll, da es die Formalitäten der Urteilsverkündung, wie Stabbrechen und Umlegen der Richterstühle wiedergibt, hier abgedruckt werden:
Protokoll über die letzte Hinrichtung im Odenwald, am Tage vor Weihnachten 1812. (nach: Die Starkenburg. 2. Jg., 8.116)
Geschehen Reichelsheim Dienstag, d. 24. Dezember 1812
In Praesentia: des Herrn Regierungs Rat Schweikhardt als Justizbeamter des Herrn Centgrafen Sebastian Willenbücher, der Gerichtsschöffen: Schultheißen Joh. Georg Keil von Rohrbach, Johannes Göttmann von Reichelsheim, Joh. Peter Vetter aus Winterkasten, Johann Adam Meister von Klein Gumpen, Joh. Nik. Lannert von Erzbach, Joh. Michael Petri von Unter Ostern, Joh. Peter Denger von Laudenau, Joh. Heinrich Kriegbaum von Eberbach, Joh. Georg Falter von Großgumpen und meiner des Procuratoris Flach qua actuarius juratus (Gerichtsschreiber. Anm. d.Verf.) von Michelstadt. Nachdem in Untersuchungssachen des Amtes Reichenberg gegen Johann Conrad Götz von Nieder Kainsbach wegen Straßenraubs und anderer Verbrechen das von Hochlöbl. Großh. Hess. Fürstlich Löwenstein und Gräflich Erbachischer Justiz Kanzley zu Michelstadt unter dem 10. Dezember 1811 ausgesprochene Todesurtheil von Hochpreislichem Großherzoglich Hess. Oberappelationsgericht am 22. Oktober 1812 bestätigt und Sr. Königl. Hoheit dem Großherzog von Hessen den 7. Dezember eiusd. re. gleichfalls bestätigt worden, auch hochlöbl. Gesamtjustizkanzlei d. 14. d. M. den heutigen Tag zur Vollziehung des Todes Urtheils anberaumt, so wurde der Delinquent heute Früh aus dem Gefängnis auf das Rathaus gebracht und nachdem auf dem Marktplatz dahier öffentlich gehegten hochnotpeinlichen Halsgericht vorgeführt und ihm vor der Publication des Todesurtheils die von ihm begangenen aus den Akten ausgezogenen Verbrechen folgendermaßen öffentlich vorgehalten:
- Du Johann Leonhard Götz warst dabei, als des Friedrich Kiesseberths Reissig verbrannt worden ist. (Quaest. 695)
- Du bist mit dem Adam Merkel herumgezogen und hast einigen Bauern unter dem Vorwand, ihnen zu dienen, Geld abgenommen (Quaest. 694)
- Du hast aus einem Keller zu Ober Kainsbach Milch entwendet. (Quaest. 696)
- Du hast daselbst einem Mädchen alte Kleider aus der Stube entwendet.
- Du warst dabei, als Adam Merkel aus einem Pferch hatte einen Teppich entwendet. (Quaest.699)
- Du hast in Gesellschaft einiger anderer den Müller Georg Wilhelm Klinger aus Stierbach bestehlen wollen. (Qaest. 700)
- Du hast in Gesellschaft des Müllers Johannes Klinger und mehrerer anderer dem Jakob Pfeiffer zu Unter Ostern nachts das Fenster eingeschlagen. (Quaest. 719)
- Du hast endlich am 25.11.1810 den Ackersmann Leonhard Jöst aus Nieder Liebersbach (Großth. Hess. Amt Fürth), von welchem Du wußstest, daß er mit Geld von hier nach Hause gehe, auf der Straße nach Fürth in einer Hütte aufgepaßt, hast den geschlagen, daß er zu Boden gefallen, besinnungslos gelegen, hast ihm das bei sich gehabte Geld genommen, bist damit auf die Herrenmühle dahier zurückgegangen und hast das Geld mit Johannes Klinger geteilt. (Quaest. 703) Inquisit wurde aufgefordert, diese wiederholt eingestandenen Verbrechen nochmals reumüthig öffentlich zu bekennen. Worauf Inquisit Johann Leonhard Götz antwortete: „Ich habe diese Verbrechen begangen, sie sind mir leid und ich bitte jeden um Verzeihung. „
Hierauf wurde von mir, dem Actuario. das Urtheil hochlöbl. Gesamt-Justiz-Kanzlei d. d. Michelstadt, den 10. Dez. 1811 öffentlich publiciert und sodann von dem Justiz Beamten erkläret, daß dieses den Rechten gemäße Urtheil auf die dagegen eingelegte Revision vor dem Großherz. Hess. Hochpreisl. Oberappellationsgericht am 22. Okt. lfd. J. bestätigt worden, am 7. dieses Monats die Bestätigung seiner Königl. Hoheit des Großherzogs von Hessen erhalten habe und nunmehr zum Vollzug gebracht werden soll.
Hierauf ward dem Delinquenten der Stab gebrochen und vor die Füße geworfen mit den Worten: „Gott sei Deiner Seele gnädig“.
Der Scharfrichter wurde sofort hervorgerufen, demselben der Missetäter an Hand und Banden übergeben, Abschrift des Urtheils zugestellt mit dem Auftrag, sein Amt nach Inhalt des Urtheils gebührend zu verrichten. Das Gericht stand hierauf auf und lehnte die Stühle um.
Flach, qua act.jur. a.u.
Contin. Codem.
Auf dem Richtplatz unweit Reichelsheim, an dem Weg nach Groß Gumpen um 11 Uhr: Der unter hinl_iinglicher Eskorte auf den Richtplatz gebrachte Missetäter wurde im Beisein des Gerichts und einer großen Menge versammelter Menschen durch den Scharfrichter Michael Nord aus Michelstadt mit einem Schwertstreich vom Leben zum Tode gebracht, der Leichnam in den bereiteten Kasten gelegt und von dem Wasenmeister auf seinem Wagen an das auf dem gewöhnlichen Galgenplatz gefertigte Grab eingescharrt.
Flach act. jur. a. u. s.
Anmerkungen:
- Erwin Meyer: Steinerne Galgen im Südhessischen Raum: in: Der Odenwald 2/1971 Friedr. Mössinger: Unsere Galgen. In: Die Starkenburg(Heppenheim) 40.Jg. (1963)Nr. 2
- In der Sage von König Harald Kampfzahn (nach F. Mundrack: Die Sagen der Germanen, Reutlingen 1961. Aus diesem Werk ist auch die Umzeichnung des Gotländer Steines entnommen)
- In: 900 Jahre Starkenburg über Heppenheim. Heppenheim 1965
- Hans H.Weber: Zum mittelalterlichen Stadtbegriff in: Der Odenwald, 4/1978
- wie Anm. 1
- Elisabeth Bräuer Wilhelm Metzendorf : Sagen, Erzählungen und Spukgeschichten aus Heppenheim und Umgebung. Heppenheim 1976
- wie Anm. 3
- Rudolf Kunz: Die Zent Zwingenberg: in: Bergsträßer Geschichtsblätter Nr. 6 (1963)
- ders.: Bestellung eines Scharfrichters zu Michelstadt: in: Der Odenwald 3/1960
- Hans H.Weber: Lindenfels – Lebensformen in Vergangenheit und Gegenwart; in: Lindenfelser Hefte, Bd. III, S. 69
- Wilhelm Diehl: Die Reichenbacher Chronik des Pfarrers M. Martin Walther 1599-1620. Hirschhorn 1904
- Karl Frölich: Stätten mittelalterlicher Rechtspflege auf südwestdeutschem Boden, besonders in Hessen und den Nachbargebieten. Tübingen 1938 (Arbeiten zur rechtlichen Volkskunde, Heft 1)
- Hans von der Au: Reichelsheim im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Reichelsheim 1926
- Georg Dascher: Beiträge zur Ortsgeschichte. Teil 1. Ober-Kainsbach 1971
- mt: Der Schinderhannes hatte im Odenwald viele „Kollegen“; in: Neue Mosbacher Zeitung vom 27.12.1979
- Ludwig Dietrich: Mitteilungen aus Königer Gültbüchern, Heberegistern und Bürgermeisterrechnungen; in: Hess. Blätter für Volkskunde, Bd. II (1903)S. 24 ff.
- Rudolf Kunz: Die Gemarkung Lindenfels und ihre Namen: in: Bergsträßer Geschichtsblätter Nr. 12 (Jg. 1979)
- Karl Schwinn: Reichelsheim im Naturpark Bergstraße -Odenwald. Reichelsheim 1975
Comments by Heinz Bormuth