Die belletristische Literatur hat sich immer schon gern historischen Themen zugewandt, auch wenn deren Hintergrund in ein undurchdringliches Dunkel eingehüllt war.
So hat sich auch Werner Bergengruen in seinem „Buch Rodenstein“, das erstmals 1926 erschien und 1942 eine erweiterte Fassung erhielt, der Rodensteinsage angenommen und sie literarisch ausgewertet. Das Ergebnis ist eine Sammlung von 27 wundersamen Geschichten. Sie reichen zeitlich von den Kreuzzügen bis in das Zeitalter der Eisenbahn. Obwohl sie lokal weitgehend auf das Gersprenztal und die umliegenden Berge beschränkt sind, führen dennoch ihre Ausläufer sogar bis in das ferne Morgenland. „. . sie alle bewegen sich um den verborgenen Mittelpunkt, um das Geheimnis dieser Landschaft zwischen der waldverhüllten Ruine (der Burg Rodenstein) und dem einsamen toten Schnellertsberg, der mit seinem zerfallenen Gemäuer dort drüben jenseits des Gersprenztales liegt, zwei knappe Fußstunden vom Rodenstein entfernt,“ wie Bergengruen seine Geschichten selber charakterisiert.
Da der Schnellerts ein integrierter Bestandteil der Rodensteinsage ist, spielt er in den von Bergengruen präsentierten Geschichten teils eine zentrale Rolle, teils erscheint er aber auch nur am Rande. Bergengruen, durch verwandtschaftliche Bande bestens mit dem Odenwald vertraut, offenbart eine profunde Kenntnis der Landschaft um den Rodenstein und ihrer Menschen.
In den Geschichten, in denen wunderliche Dinge geschehen, die sich nicht von der menschlichen Vernunft erfassen lassen, kommen Menschen aus Fleisch und Blut in Berührung mit nicht greifbaren Wesen, wie Spukgestalten, Geistern, Hexen und Kobolden, die nicht an die menschliche Zeitordnung gebunden sind. Der gläubige Christ Bergengruen stellt sein Buch Rodenstein unter das Wort des Engels der Offenbarung St. Johannis, 10, 6, daß hinfort keine Zeit mehr sein soll. So machen nun Menschen, deren Leben zeitlichen Abläufen unterworfen ist, ihre mehr oder weniger schaurigen Erfahrungen mit unwirklichen Wesen, die zeitlos sind und außerhalb der Gesetze menschlicher Zeiterfahrung stehen. Nicht ohne Wirkung auf die in der zeitlich geordneten Welt lebenden Menschen ist der Zauber, der von den geheimnisumwitterten Geschöpfen der Zeitlosigkeit ausgeht.
So sind denn auch die Geschichten, in denen der Schnellertsberg zum Schauplatz wird, eingehüllt in den Schleier des Geheimnisvollen. In einer kunstvollen Sprache erlebt der Leser eine eindrucksvolle Beschreibung zauberhafter Vorgänge, die sich um den Schnellertsberg abspielen. Fiktives ist mit Nicht-Fiktivem eng verflochten. Die zeitlosen Gestalten treiben ihren Schabernack mit den in der Zeit lebenden Menschen. Sie verbreiten Schrecken und Angst und bestrafen menschliche Schwächen. Sie erweisen sich aber auch dankbar gegenüber menschlicher Güte und Hilfsbereitschaft.
Der Leser wird eingeführt durch das Stück vom „Tod, Leben und Abertod und Aberleben des Herrn von Rodenstein“. Dieser hatte im Krieg gegen die Türken treu seinem Kaiser gedient und steht nun vor seinem Einzug in die Schnellertsburg, „denn dies ist die Burg, auf welcher der Hauptmann vorzugsweise zu wohnen pflegt“. Als ihm auf der Höhe des Berges bei seinem Blick auf das Gersprenztal und die angrenzenden Berge die Vision vom „heiligen und nach Rom benannten Reiche“ kommt, scheut sein schneeweißer Araberhengst, dessen „zauberische Bosheitskraft“ schon vorangekündigt war und der Herr von Rodenstein stürzt zu Boden und stirbt am gleichen Abend. „Nicht sehr lange danach fangen die Bauern an zu reden. Der Herr sei zwar gestorben, sagen sie und beigesetzt worden, aber er gebe keine rechte Ruhe. Ja, wenn man es so ausdrücken dürfe, in der Weise der Unruhigen lebe er weiter. “
Bereits im nächsten Stück wird der Geist des Schnellertsherrn beschworen und der Leser erfährt, „daß es nämlich Krieg gibt, sooft er mit seinen Leuten vom Schnellerts zum Rodenstein, und Frieden, sooft er vom Rodenstein zum Schnellerts zieht;“ und „der Schnellertsherr ist ein furchtbarer Geist, und es soll keiner mit Mutwillen an sein Geheimnis rühren“. Aber dennoch will ein in Pirmasens unter dem Landgrafen Ludwig dienender Stierbacher Korporal „nicht mehr tun, als schösse und stäche (er), sondern… in Wirklichkeit schießen und stechen.“ Und so läßt er bei der Haal den Schnellertsherrn beschwören. Als dann das Geisterheer durch die Lüfte braust, ertönt eine Stimme: „Dies ist der große und schreckliche Tag des Herrn. Hinfort soll keine Zeit mehr sein. “ Der Korporal kam später im Krieg mit den Franzosen ums Leben.
Im nächsten Stück jedoch gibt Bergengruen zu erkennen, daß es nicht gewiß sei, ob der rodensteinische Umzug mit Kriegen und Friedensschlüssen im Zusammenhang stehe.
Dann wird der Schnellerts in der „Geschichte der drei Hopfenhändler“ erwähnt und von Schätzen erzählt, die der Herr von Rodenstein dort begraben haben soll. Auch „wisse man manche Geschichte von Schatzgräbern auf dem Rodenstein und Schnellerts, die nichts heimgebracht hätten als einen Schnupfen und zwei leere Hände“. Auch im Stück von der „Magd im Felsenhaus“ ist von Funden die Rede, die auf dem Schnellerts gemacht wurden.
In der „Kirschwassergeschichte“ erlebt Bergengruen selbst im Wirtshaus vor dem Burgwalde der Burg Rodenstein eine Diskussion über den Auszug des Schnellertsherrn im Jahre 1914 und die Deutung der Geräusche, die die Bewohner der Gegend vernommen haben wollen. Dabei berichtet er von einem entlassenen Dorfschulmeister, der „auch viele Nächte auf dem Schnellerts „zugebracht haben will.
In der Geschichte „Fröhlich und die beiden Frauen“, die im 18. Jahrhundert spielt, wird der ehrgeizige Sekretär Fröhlich aus Darmstadt beauftragt, den Geschichten über den Schnellertsherrn nachzugehen, die die erbachischen Behörden auf Schloß Reichenberg zu Protokoll genommen hatten.
Ergreifend ist das Schicksal „des Mannes aus der Haal“, in dessen Hof der geheimnisumwitterte Rodensteiner sein Unwesen treibt. Georg Heinrich Daum, so heißt der Mann aus der Haal, wird zum Schnellerts eingeladen, sieht dort „eine große und stattliche Burg“ stehen und erlebt ein Prachtmahl mit den zeitlosen Gestalten der alten Herren von Rodenstein und Schnellerts. Er nimmt anschließend an einer wilden Jagd bis zur Burg Rodenstein teil, bei der zwei unschuldige Kinder und die beiden Herren zu Tode kommen. Dann erwacht der Mann aus der Haal wieder in den Ruinen der Schnellertsburg. Die Erlebnisse dieser Nacht bleiben nicht ohne Nachwirkungen. „Sein Gemüt begann sich zu verwirren“, bis man schließlich seine Leiche „hoch oben auf dem Schnellerts“ fand.
Der tolle Schmied, der durch den Spuk des Rodensteiners in der Fränkisch-Crumbachischen Schmiede den Verstand verlor, vertreibt durch sein tierisches Gebrüll auf dem freien Platz der Schnellertsruine frühstückende Waldarbeiter. Auch im Stück vom „schlesischen Knaben“ tobt der Schnellertsherr in der Schmiede. In diesem Stück ist auch davon die Rede, daß „tief in den Bergen, unter dem Rodenstein und der Schnellertsburg“ alte Heidengötter sitzen und daß zwischen beiden Bergen der Schnellertsherr seinen Weg habe und auf seiner Spur das Korn höher und üppiger wachse als an allen anderen Stellen.
Im 24. Stück lernt ein als französischer Soldat durch den Odenwald reitender Bretone “ die Männer im Schnellertsberge“ kennen, die er aber von ihrem Zauber nicht befreien kann. Er ist nämlich des Schreibens unkundig und kann keinen erforderlichen Vermerk in das ihm von den Geistergestalten vorgelegte Buch mit den blanken Seiten machen.
Schließlich ist in der Geschichte von den „Büchern aus der Truhe“ von den drei Winden die Rede, die vom Schnellerts zum Rodenstein hin wehen. Da bei vollziehen sich in der Rodensteiner Burg geheimnisvolle Vorgänge, bis dann die Rodensteiner Burgherrin mit gebrochenem Genick im Ringgraben der Burg aufgefunden wird.
Das Unheimliche und Mysteriöse der Geschichten im Buch Rodenstein faßt Bergengruen im „Ausgang“ zusammen, wenn er schreibt: „Hörst Du es heulen und brausen um unser Haus, hörst Du es prasseln durch die Wipfel der Tannen und Buchen? . . . . Der dort jagt, das ist der Feind, der Unbeendete ist er, der Unerlöste, der Verfluchte. Wir Menschen aber können nicht sein ohne Maß und ohne Ende. Unser Ende steht allezeit vor uns, gewußt oder ungewußt, Ende ist unsere Hoffnung. Es ist kein Ding und keine Kreatur, die nicht nach Ende begehren: Ende ist geschworen bei dem Lebendigen von Ewigkeit zu Ewigkeit. „
Comments by Georg Wagner