In der Gemeinde Brensbach/Odenwaldkreis liegt auf einer 350 m hoch aufragenden Bergkuppe die Burgruine Schnellerts. Wie bei der ca. 3 km südlich gelegenen Burgruine Beerfurther Schlößchen liegen keinerlei Erkenntnisse vor über Erbauer, Bewohner und Zerstörer dieser Odenwälder Kleinburg. Selbst im Lorscher Kodex, der eine Vielzahl von Orten zum ersten Mal urkundlich erwähnt, ist vom Schnellerts nicht die Rede.
Im Jahre 1972 ging beim Landesamt für Denkmalpflege in Darmstadt eine Meldung ein über „Grabungslöcher unbekannter Personen“ auf dem Schnellerts. Dies war der Anlaß, einer rührigen Gruppe von Heimatfreunden um Georg Dascher/Ober-Kainsbach im Jahre des Denkmalschutzes 1975 die Grabungserlaubnis zu erteilen. Zielsetzung war dabei, den Turmstumpf des ehemaligen Bergfrieds auszugraben, zu konservieren und aus dabei zutagetretenden Funden Erkenntnisse über die Geschichte der Kleinburg zu gewinnen. Walter Boß, Museumsleiter in Dieburg, übernahm die Grabungsleitung.
Bei den Ausgrabungen stellte man fest, daß das Turmfundament direkt auf dem anstehenden Fels aufsitzt. Nach dem Wegräumen des Mauerversturzes fand sich auf der Turmsohle eine neuzeitliche Keramikscherbe. Sie muß bei den Planierungsarbeiten des 19.Jahrhunderts dort hineingekommen sein. Diese Aufschüttungsarbeiten haben jede ungestörte Schichtenfolge im Turmbereich zerstört.
Das Material, das im Umkreis der “ Grabungslöcher unbekannter Personen“ gefunden wurde, bestand aus noch nicht näher bestimmter hochmittelalterlicher Keramik und eisernen Armbrustbolzen. Und an dieser Stelle kam auch die erste Münze zutage: ein Heller aus der Zeit 1225 – 1250. (Bestimmung Dr.Heß/Marburg). (s. Abb.) Er stammt aus einer der ersten Hellerserien, zuerst geprägt in Schwäbisch-Hall, daher Heller genannt. Ihr Kennzeichen ist eine stilisierte Hand. Auf der anderen Münzseite ist meistens – wie bei unserem Fund – ein Kreuz mit gespaltenen Balkenenden dargestellt. Es steht auf einem auf die Spitze gestellten Quadrat. Vor jedem Balkenende erkennt man jeweils noch eine Kugel.
Heller hatten überregionale Geltung über einen längeren Zeitraum hin. So konnte das Alter nur auf 25 Jahre eingeengt werden. Würden wir Brakteaten finden, wäre eine weitaus genauere Datierung möglich. Brakteaten, einseitig geprägte dünne Münzen, wurden im Gebiet des heutigen Hessen nahezu jährlich „verrufen“. Das heißt, wer Brakteaten besaß, mußte sie gegen neue Prägungen umtauschen, die weniger Wert waren. Auf diese Weise war den Münzherren eine regelmäßige Einnahmequelle sicher.
Bei der Ausgrabung erfolgte neben der fotografischen Dokumentation die zeichnerische Aufnahme im Maßstab 1:20. Diese Unterlagen werden noch nach vielen Jahren den Vergleich der Fundumstände mit anderen Burggrabungen ermöglichen und auch nach der Konservierung einwandfrei aufzeigen, was Original und was Ergänzung ist. Alfred Lehmann/Darmstadt unterstützte Walter Boß beim Zeichnen des aufgehenden Mauerwerks.
Obervermessungsrat Heinrich Schneider/Darmstadt begann unterdessen mit Unterstützung seiner Frau die obertägig sichtbaren Reste der Burg zu vermessen und einen vorläufigen Grundriß zu zeichnen. Besondere Schwierigkeiten bereiteten dabei die Arbeitsspuren der Steinräuber, die noch bis 1950 das Ruinengelände heimgesucht hatten. Alle „Steine mit Gesicht“ wie die Maurer sagen, sind aus den Mauerschalen zuerst herausgerissen worden. Größtenteils bietet also nur der Mauerkern obertägig eine Vorstellung vom Verlauf der Mauern. Wo durch flüchtiges Graben Innen- oder Außenseite der Mauern nicht eindeutig feststanden, hat Heinrich Schneider sie nicht aufgezeichnet. (s.Abb.) So kommt es, daß aus der Grundrißzeichnung nicht hervorgeht, wie der Bergfried zur Verstärkung an die Schildmauer angelehnt ist.
Hier auf der Ostseite ist der Berg weniger steil und somit die potentielle Angriffsseite. Diese schwache Stelle wurde durch die hohe Schildmauer abgeriegelt. Der angelehnte Bergfried verstärkte die Mauer und diente als Kampfplattform. Wenn man annimmt, daß sich der Bergfried nach oben hin unwesentlich verjüngte, standen also knapp 30 m2 bei 6 m Turmdurchmesser zur Verfügung. Bei nur 2 m Innendurchmesser war der Raum vom Eingang in halber Höhe bis zur Plattform hinauf schon mit Leitern ausgefüllt. Die untere Turmhälfte konnte dann noch bestenfalls als Verließ oder Vorratsraum genutzt werden.
In der Grabungssaison 1976 übernahm der Verfasser, der bei der Archäologischen und Volkskundlichen Arbeitsgemeinschaft (AVA) am Museum in Dieburg tätig ist, die örtliche Grabungsleitung. Wieder unterstützte Alfred Lehmann mit seinen Zeichnungen die Arbeit.
Brandlehmbrocken zwischen den Keramikfunden und Dachziegelbruchstücke von der Innenseite der Nordwestmauer erregten den Verdacht, auf ein abgebranntes Fachwerkhaus gestoßen zu sein. Bei der Erweiterung der Grabungsfläche ergaben sich weitere Hinweise.
Die Gefache in einem Fachwerkhaus waren mit Weidengeflecht, Strohhäcksel und Lehm geschlossen. Brennt nun ein solches Holz -Stroh -Lehm -Haus ab, bleibt nur der rot- und schwarz gebrannte Lehm zurück. Alle organischen Teile haben sich als Negativabdruck darin enthalten. Solche Brandlehmbrocken sind immer Hinweis auf fachwerkähnliche Bauten und signalisieren aus der Jungsteinzeit bis heute Wohnplätze. Das in solchen Schichten gefundene Material ermöglicht dann die zeitliche Zuordnung.
Sollte sich bei künftigen Grabungen ergeben, daß die Burganlage in mehreren Perioden erbaut wurde, kann man das aus den gestörten Schichten sicher gestellte Fundmaterial nur bedingt zur Datierung heranziehen. Im Bereich der inneren Nordwestmauer stieß man auf Fundmaterial der bisher größten Variationsbreite. Neben einer weiteren Münze, die noch auf ihre Bestimmung wartet, stießen die Ausgräber vor allem auf Keramikscherben, von denen einige nahezu ganze Gefäße ergaben.
Die Töpfe sind alle auf der Drehscheibe und ohne Verzierungen und Glasuren hergestellt. Nur ein kleiner Trinkbecher trägt auf seinem Fuß schwache Fingereindrücke und auf dem Unterteil der Wandung eine eingeritzte Zickzacklinie. (s.Abb.) Die Oberfläche des Gefäßes ist mit einer eisenhaltigen Tonschlämme überzogen worden, die sich im Brand violett verfärbte.
Unter mehreren Armbrustbolzen mit ihrer kurzen, gedrungenen Form und massiven Spitze fällt ein Stück auf, dessen Tülle aufgepilzt ist. Die wohl zu dünne Wandung hat der Wucht beim Aufprall nicht standgehalten. (s. Abb.) Diverse Schnallen und Beschläge aus Eisen vervollständigen das Bild.
Im Bereich der Toranlage im Westen der Burg wurde ein großes Planum (Grabungsfläche) angelegt. Bald kamen ein Torangelstein und die Torschwellenunterlage zutage. (s.Abb.) Die Torschwelle selbst war natürlich längst von Steinräubern abgefahren worden. Die großen Steinplatten, aus dem anstehenden Fels gewonnen, waren auf das Fundament aufgelegt. Hinter diesem Pflaster stieß man bald auf Felsen. Spuren einer Schotterung oder Pflasterung der Tordurchfahrt östlich des Eingangs konnten nicht mehr festgestellt werden.
Der freigelegte anstehende Fels zeigt deutlich auf, wie leicht für die Burgenbauer die Steingewinnung war. Der Fels, der laut Geologischer Karte „Böllsteiner Streifengranit“ genannt wird, läßt sich mit gezielten Hammerschlägen in Steinbalken und -platten zerteilen. An den streifig eingelagerten Glimmerplättchen hat auch die Witterung in der ursprünglichen Felsoberfläche angesetzt und Steinbalken abgeteilt. Sie liegen alle in der Kristallrichtung, sodaß der Eindruck von eingestürzten Treppenstufen entsteht.
An der Außenmauer ist jetzt die Oberkante des Fundaments freigeputzt worden. Hier im Außenbereich fällt sofort jedem Besucher die ungewöhnlich breite Berme auf. Die Berme, der Absatz zwischen Graben und Mauer, muß zweckmäßigerweise kleingehalten werden, um dem Angreifer kein Festsetzen zu ermöglichen. Sehr breite Bermen weisen gewöhnlich auf einen Zwinger hin, einen doppelten Mauerring. Schon Professor Anthes hat bei seiner Grabung 1886 versucht, diesen Zwinger nachzuweisen. Weil dies ohne Ergebnis geblieben ist, hat er schon damals die Vermutung geäußert, es könne sich um einen Palisadenzaun gehandelt haben. Es liegt nun an uns, dies mit verbesserter Grabungstechnik zu beweisen.
Zahlreiche Brandspuren lassen auf ein gewaltsames Ende der Burg schließen . Das Feuer muß derart gewütet haben, daß bei drei bisher gefundenen Steinen sogar die Oberfläche verglast worden ist. Dieses Phänomen ist von frühen Ringwallanlagen bekannt, die nach der Zerstörung als sogenannte „Schlackenwälle“ zurückblieben.
Innere und äußere Mauerschale des nördlichen Torzangenteils lagen von Anfang an fest. Bald zeigte sich auch, daß dieses Mauerstück an die Außenmauer nicht angebunden war, sondern nur angelehnt. Das über Felsengeröll „schwebende“ Fundament legt Vergleiche zur Kirchengrabung von Walter Boß in Groß-Umstadt nahe, wo ebenfalls mehrere Befunde leichtsinniges Bauen mittelalterlicher Baumeister bezeugen.
Am südlichen Torzangenteil war durch die gründliche Arbeit der Steinräuber lange nicht zu unterscheiden, wo der Mauerversturz aufhört und die ungestörten Steinlagen anfangen. Erst als man auf eine durchgehend erhaltene Mörtelschicht direkt über dem Fundament stieß, war auch diese Frage beantwortet. In den anderen bisher aufgedeckten Mauerteilen war der schlecht gebrannte Mörtel längst wieder vergangen.
Geduldiges Sieben erbrachte die Münzen Nr. 2, 4 und 5, die wieder zu Dr. Heß nach Marburg zur Bestimmung geschickt worden sind. Bemerkenswerte Eisenfunde waren unter anderem: ein Steigbügel, ein Hufeisen und mehrere Eisenzinken von einer Flachshechel. Ein Spinnwirtel aus gebranntem Ton ist Zeugnis dafür, wie mühsam im Mittelalter das Verspinnen ohne Spinnrad war. Mit einer Hand zupfte die Spinnerin die Wolle und zwirbelte mit der anderen Hand den Faden. Der Spinnwirtel war dabei am Faden festgeklemmt, spannte den Faden durch sein Gewicht und erzeugte den Drall.
Weil an der Toranlage keine Steine der Mauerschale mehr fest über dem heutigen Niveau im Verband saßen, erteilte das Landesamt für Denkmalpflege der Forschungsgemeinschaft Schnellerts e.V. die Erlaubnis zur Konservierung und sparsamen Ergänzung. Maurer Adam Bohländer/Brombachtal hat sich ganz in die mittelalterliche Bauweise hineingefühlt. Kein Hammerschlag beschädigte das „Gesicht“ der Steine. Und obwohl die Steine nicht verfugt sind, quillt kein Mörtel aus den Ritzen.
In den nächsten Grabungskampagnen dürfen Mauerreste nur dann ausgegraben werden, wenn sie im gleichen Jahr konserviert werden. Daraus folgt, daß im Jahr 1977 Arbeiten nur in dem Maße weitergeführt werden können, wie finanzielle Mittel zur Verfügung stehen.
Comments by Norbert Fischer